Der individuell fördernde Umgang mit der Vielfalt der Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse sowie den Begabungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler ist ein zentraler pädagogischer Anspruch. Gleichzeitig ist dieser Anspruch im schulischen Alltag hoch anspruchsvoll und mit Herausforderungen verbunden. Das Handlungsmodell der Personalisierung nach Herbig (2017) greift sowohl Desiderata als auch Herausforderungen der individuellen Förderung im gymnasialen Bereich auf. Es stellt einen allgemein (schul-)pädagogischen Handlungs- bzw. Orientierungsrahmen zur Umsetzung von individueller Förderung dar.
Das Modell der Personalisierung umfasst sechs Handlungs- bzw. Orientierungsdimensionen. Diese sind gerahmt von verschiedenen Gelingensbedingungen auf der Ebene der Ressourcen und Strukturen. Im Folgenden werden die sechs Dimensionen des Modells kurz vorgestellt und pädagogische Implikationen benannt.
Diversitätsorientierung: Theoretischer Hintergrund
Im Gegensatz zum Homogenitäts- und Heterogenitätsdenken wird nach Sliwka (2012, 170f.) „[im] Paradigma der Diversität […] die Unterschiedlichkeit der Schülerinnen und Schüler nicht mehr als Problem, sondern vielmehr als normale Realität und sogar als ‚Bildungsgewinn‘ wahrgenommen.“
Personorientierung: Theoretischer Hintergrund
Die Entwicklung der Persönlichkeit und der individuellen Potenziale wird als ein dynamischer, sozialer und eigenverantwortlicher Prozess verstanden (vgl. Weigand et al., 2014). Entsprechend ergibt sich ein ganzheitlicher Blick auf die Persönlichkeitsentwicklung und den Bildungs- bzw. Begabungsprozess (vgl. u.a. TE4I, 2012).
Inklusionsorientierung: Theoretischer Hintergrund
Inklusion wird aus einer allgemein (schul-)pädagogischen Perspektive betrachtet und bezieht im Sinne einer moderaten De-/Kategorisierung alle lernrelevanten, inter- und intraindividuellen sowie gruppenbezogenen Differenzlinien ein (vgl. u.a. Hinz, 2013).
Eine primär inklusive Förderung kann durch temporäre, bedarfsgerechte, separierende Maßnahmen ergänzt werden (vgl. u.a. Müller-Oppliger, 2015).
Begabungsorientierung: Theoretischer Hintergrund
Begabung wird verstanden als dynamisches, sozial verankertes, domänenspezifisches Lern-, Bildungs- bzw. Leistungspotenzial (vgl. Weigand et al., 2014).
Die Fokussierung auf die Begabungen und Potenziale aller Schüler_innen als Ausgangspunkt schulischen Lernens wird gegenüber der aktuell vorherrschenden Defizitorientierung priorisiert (vgl. u.a. iPEGE, 2009; TE4I, 2012).
Kooperationsorientierung: Theoretischer Hintergrund
Kooperation wird verstanden als umfassende und systemische Zusammenarbeit aller am Lehr-Lern-Prozess beteiligten, schulischen und außerschulischen Akteur_innen
(vgl. iPEGE, 2009).
Zentral ist dabei ein institutionalisiertes und gleichberechtigtes multiprofessionelles Team-Teaching (vgl. u.a. Hinz, 2013; Seitz & Scheidt, 2012; TE4I, 2012).
Variabilitätsorientierung: Theoretischer Hintergrund
Die adaptive Gestaltung von Lehr-Lern-Settings und Lehr- Lern-Prozessen stellt den Lernenden in den Mittelpunkt. Sie ist gekennzeichnet durch Variabilität, d.h. durch den flexiblen Einsatz eines vielfältigen Lehr-Lern-Angebots sowie Instrumentariums (vgl. u.a. Helmke, 2009, 75; Solzbacher et al., 2012; Fischer et al., 2014, 47ff.).
Fischer, C. (2014). Individuelle Förderung als schulische Herausforderung. Schriftenreihe des Netzwerk Bildung.
Hinz, A. (2013). Inklusion – von der Unkenntnis zur Unkenntlichkeit!? In: Zeitschrift für Inklusion. (01/13).
iPEGE – International Panel of Experts for Gifted Education (Hrsg.) (2009). Professionelle Begabtenförderung: Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften in der Begabtenförderung. Eigenverlag: Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung (özbf). Online abrufbar: http://www.oezbf.net/ipege/tl_files/inhalt/Dokumente/Publikationen_iPEGE/iPEGE_Broschuere.pdf [Letzter Zugriff: 09.08.2019]
Müller-Opplinger, V. (2015). Das »Schoolwide Enrichment Model« (SEM) als Choreografie inklusiver Begabtenförderung. Begabungsförderung kontrovers. Konzepte im Spiegel der Inklusion, S. 38-60. Weinheim, Basel: Beltz Verlag.
Seitz, S. & Scheidt, K. (2012). Vom Reichtum inklusiven Unterrichts – Sechs Ressourcen zur Weiterentwicklung. In: Zeitschrift für Inklusion. 7. Jg., Heft 1-2. Online abrufbar: http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion/article/view/148/140 [Letzter Zugriff: 09.08.2019]
Sliwka, A. (2012). Diversität als Chance und als Ressource in der Gestaltung wirksamer Lernprozesse. In: Fereidooni, K. (Hrsg.): Das interkulturelle Lehrerzimmer, S. 169-176. Wiesbaden: VS Verlag.
TE4I – The European Agency for Special Needs and Inclusive Education (2012). Teacher Education for Inclusion. Profile of Inclusive Teachers. Odense, Denmark. Online abrufbar: https://www.european-agency.org/agency-projects/Teacher-Education-for-Inclusion/profile [Letzter Zugriff: 09.08.2019]
Weigand, G. (2011). Pädagogische Perspektiven auf Hochbegabung und Begabtenförderung. In: Steenbuck, O. et al. (Hrsg.): Inklusive Begabtenförderung in der Grundschule, S. 31-37. Weinheim: Beltz.
Weigand, G. & Schenz, C. (2009). Inklusive Begabungs- und Begabtenförderung als Schulentwicklung. In: news&science. Begabtenförderung und Begabungsforschung. (23/2009), S. 49-52. Salzburg: ÖZBF.